Lebensmittelpreise
Obwohl kaum ein anderes Produkt so strengen Kontrollen unterliegt und wir ohne sie nicht überleben würden, spiegelt unser Umgang mit Lebensmitteln dies nicht wider. Schnell gekauft und unüberlegt weggeworfen, das ist oft das Los von Lebensmitteln und das, obwohl sie mit der größten Sorgfalt, oft unter Einsatz von anderen Rohstoffen, viel Energie und Arbeitsstunden hergestellt worden sind.
Überlegen Sie, wie viel Lebensmittel in ihrer Familie pro Woche weggeworfen werden. Nennen Sie die Gründe, warum die Nahrungsmittel weggeworfen und warum sie gekauft wurden.
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Würden Sie Brot wegwerfen, wenn es 30 kosten würde, oder den Käse, wenn Sie für die sechs Scheiben 15 bezahlt hätten? Wahrscheinlich nicht! Wahrscheinlich hätten Sie sich aber auch vorher gut überlegt, ob Sie diese Lebensmittel wirklich brauchen, ob nicht erst mal das, was da ist, aufgegessen werden sollte, bevor Neues nachgekauft wird. In vielen reichen Ländern sind Lebensmittel im Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten sehr billig. Da fällt es nicht schwer, Lebensmittel in die Mülltonne zu werfen. Doch in anderen Ländern sieht das anders aus.
Auch in Deutschland sind Lebensmittel in den letzten Jahren teurer geworden, aber das bedeutet nicht, dass wir uns Nahrung nicht mehr leisten könnten oder beim Einkauf einschränken müssten. In anderen Teilen der Welt bedeuten gleich wenige Cent mehr für die Lebensmittel deutlich weniger auf dem Teller. In vielen Ländern weltweit protestierte die Bevölkerung gegen den Preisanstieg für Lebensmittel. In den Medien wurde 2007 ausführlich darüber berichtet, als in Mexiko die Tortillakrise ausbrach. Mais ist das am häufigsten angebaute Getreide weltweit und ein wichtiger Lieferant für die Futtermittel- und Biospritproduktion. Eine schwache Ernte kann schnell den Preis in die Höhe treiben. Der rasant ansteigende Preis für Mais auf dem Weltmarkt führte dazu, dass sich viele Mexikaner die aus Maismehl bestehenden Tortillas nicht mehr leisten konnten. Es kam zu Unruhen. Aber es gab insgesamt in mehr als 40 Ländern weltweit so genannte Hungerrevolten, darunter in Afghanistan, Kamerun, Haiti, Moçambique, Tunesien und Marokko. In Haiti brannten Autoreifen, wurden Barrikaden errichtet, Lebensmittelgeschäfte geplündert, Gebäude zerstört.
Dabei sind diese Krisen keine globalen Produktionskrisen, es werden weltweit genug Lebensmittel angebaut. Vielmehr handelt es sich um Preis- und Verteilungskrisen, bei denen Börsenspekulationen sowie der Anbau als Futterpflanzen für Tiere und die Treibstoff¬herstellung aus Energiepflanzen (wie Mais) die Preise weltweit in die Höhe treiben und sie für die Armen unerschwinglich machen. Die Regierungen weltweit haben mittlerweile erkannt, wie wichtig die Preisentwicklung bei Lebensmitteln für den Frieden im Land ist. Die Preissteigerungen bei Lebensmitteln treffen die Ärmsten am härtesten, weil sie einen größeren Anteil ihres Einkommens dafür aufwenden müssen, sagt der Geschäftsführer der Weltbank-Tochter Miga, James Bond. Dadurch entstehen bedeutende Spannungen in ärmeren Ländern, wachsende Unterschiede beim Lebensstandard sind Quelle für soziale Unruhen.
Doch Preissteigerungen bei Lebensmitteln wurden 2011 auch in Deutschland spürbar. Mit der Kampagne Teller statt Tank machten viele Organisationen auf das Preisdilemma in den ärmeren Ländern aufmerksam. Mit der Einführung des Biokraftstoffs E10 begann die Debatte über die Nutzung der Anbauflächen auch hier. Die Konkurrenz auf den Anbauflächen zwischen Lebensmittelprodukten und den hoch subventionierten nachwachsenden Rohstoffen, würde zu einer Verknappung der Anbauflächen für die Nahrungsproduktion und so zu einer Preissteigerung von Lebensmitteln führen. Landwirte können jetzt selbst entscheiden, ob sie Weizen, Mais oder Zuckerrüben an die Nahrungsmittelindustrie verkaufen wollen, oder als Rohstoffe an Biogas- und Biokraftstoffproduzenten. Da der Anbau für die Kraftstoffherstellung aber höher subventioniert wird, können Landwirte dort mehr verdienen und entscheiden sich daher oft für letzteres. Zudem treten zunehmend mehr Investoren auf, die den Zuschlag für neu ausgeschriebene Pachtverträge erhalten, da sie wegen der höheren Subventionssummen auch höhere Summen für Pachtverträge aufbringen können. Bundesweit stehen durchschnittlich ca. 63% der landwirtschaftlichen Nutzflächen als Pachtfläche zur Verfügung. Für Landwirte ist das schwierig, da sie auf die Flächen aus Pachtverträgen angewiesen sind. Auch die führt zu einer Veränderung der Anbaustruktur und zu einer weiteren Verteuerung von landwirtschaftlicher Nutzfläche.
Und der flächenverbrauchende Anbau von nachwachsenden Rohstoffen hat noch andere Nebenwirkungen. Besonders der ausufernde und subventionierte Anbau von Mais ist in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik gekommen. Laut einer Studie des WWF verwandle sich Deutschland zunehmend mehr in eine Mais-Wüste. Zwischen 2005 und 2010 ist die Anbaufläche für dieses Getreide von 70.000 Hektar auf 600.000 Hektar angestiegen. Die Maisausbreitung gefährde den von der Regierung angestrebten Schutz der Biodiversität, belaste die Gewässer durch die hohe Düngemittelzufuhr und führe zum Abtrag von wertvollem Mutterboden durch die humuszehrende Wirkung der Pflanze und die Erosionsgefahr beim Anbau. Irritierend ist, dass Mais bestimmte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen muss, wenn er für die Erzeugung von Bioethanol, also Alkohol, verwendet wird. Für die Herstellung von Biogas dagegen existieren keine solchen Vorgaben. In Deutschland ist die Anzahl der Biogasanlagen seit 1992 um das 40fache gestiegen. Heute beträgt sie ca. 7.000 Anlagen im gesamten Bundesgebiet, die 2009 fast 33% zur Stromerzeugung aus Biomasse beitrugen. Besonders Mais wird kritisch in Bezug auf Biodiversität gesehen. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Grünflächen und artenreiche Brach- und Stilllegungsflächen für den Maisanbau freigegeben, allein in den Jahren 2007 und 2008 wurden 52% dieser Flächen dafür verwendet. Doch gerade diese Brachflächen sind für den Artenschutz besonders wichtig. Für viele Vogelarten, darunter Kiebitze, Großer Brachvogel, Ortolan oder Heidelerche, sind Maisflächen unbrauchbar oder sogar ökologische Fallen. Die Vögel brüten auf dem vermeintlich interessanten Stück Land. Erst wenn der Mais zu wachsen beginnt stellen sich die Probleme wie Futterarmut und fehlende offene Flächen ein.
Mais wird jedoch auch anders eingesetzt, z.B. als Tiermastfutter. Die USA sind dabei der größte Maisproduzent weltweit und beliefern auch andere Länder wie Mexiko. Im Jahr 2011 wurde nach Angaben des zuständigen US-Landwirtschaftsministeriums erstmals mehr Mais für die Bioethanol-Herstellung angepflanzt als für die Tiermast. Das machte mit 128 Millionen Tonnen insgesamt mehr als 40% der gesamten Maisernte des Vorjahres aus. Für die Lebensmittelproduktion wurden insgesamt 35 Millionen Tonnen verarbeitet. Es wird erwartet, dass der seit Jahren ansteigende Trend sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird.
Doch die steigende Nachfrage führt auch zu höheren Preisen. Im Frühjahr 2011 erzielte Mais Rekordpreise. Nicht nur Mais importierende Länder und Hilfsorganisatoren leiden unter den hohen Preisen auf dem Weltmarkt, auch die US-amerikanischen Mastbetriebe können sich kaum noch das Futter für ihre Tiere leisten. Doch für die Bevölkerung armer Länder stellen die gestiegenen Preise existenzielle Probleme dar.
Auch Spekulationen mit Nahrungsmittelrohstoffen wie Weizen, Mais oder Reis an den Weltmärkten verschärfen die Situation. Diese Art der Geschäfte erhöht zusätzlich noch die Preise auf den Weltmärkten. Dabei werden Wetten auf steigende oder fallende Kurse für die entsprechenden Lebensmittel abgeschlossen, z.B. so genannte Leerverkäufe. Die Welthungerhilfe beklagt, dass auf den Märkten zurzeit mit mehr Agrarrohstoffen gehandelt würde, als zur Verfügung stehen. Solange ärmere Länder auf ihre eigenen Vorräte zurückgreifen können und somit autark vom Weltmarktpreis sind, haben die Schwankungen auf dem Weltmarkt keinen Einfluss auf den Versorgungszustand ihrer Bevölkerung. Sobald aber die eigenen Vorräte aufgebraucht sind, müssen Weltmarktpreise gezahlt werden. Gerade die ärmsten Länder, denen ein hoher Preis für ihre Rohstoffe beim Verkauf zu Gute käme, sind von Importen abhängig ein Teufelskreis.
Handlungsoptionen
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Um extreme Preisschwankungen bei Nahrungsmittelrohstoffen zu regulieren, trafen sich im Sommer 2011 die Landwirtschaftsminister der G20-Länder. Die Einigung über verschiedene Maßnahmen war schwierig, da die unterschiedlichen Länder jeweils ihre eigenen Interessen durchzusetzen versuchten. Es wurde sich darauf geeinigt, die landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen und in Krisenzeiten enger zusammenzuarbeiten. Im Falle von Hungersnöten sollten Exporte nicht begrenzt und Spekulationen an den Agrarmärkten stärker reguliert werden. Zudem sollte ein Agrar-Markt-Informations-System (AMIS) entwickelt werden, sodass schneller auf Preisanstiege bei Weizen, Mais, Reis und Sojabohnen reagiert werden könne. In dieser Datenbank sollten die landwirtschaftliche Produktion und Lagerbestände erfasst werden. Doch besonders Indien und China stehen diesem Konzept kritisch gegenüber. Sie möchten ihre Bestandsdaten nicht offenlegen. Auch der Einsatz eines satellitengestützten Systems, das wichtige Wetterdaten zur Verfügung stellt und sichere Vorhersagen erleichtert, wird geprüft.
Nicht einigen konnten sich die Minister auf eine Regulierung der spekulativen Derivate-Geschäfte an den Rohstoffmärkten. Obwohl die französische Regierung unter Nicolas Sarkozy darin den Hauptgrund für die extremen Schwankungen bei den Lebensmittelpreisen sieht, lehnte Großbritannien eine Marktregulierung strikt ab.
Auch der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen, besonders Mais und Zuckerrohr für die Biokraftstoffproduktion, ist umstritten. Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und die Welternährungsorganisation (FAO) gehen davon aus, dass 2020 30% der Zuckerrohrernte zu Biosprit verarbeitet werden. Eine staatliche Regulierung zum Anbau von Energiepflanzen wurde aber unter anderem von den USA als einem der größten Produzentenländer nicht unterstützt.